Couchsurfing bedeutet, im freien Fall des Reisens in das Leben einer fremden Person zu purzeln. Man betritt das Zimmer, lernt die Mitbewohner kennen, verbringt gemeinsame Abende mit einander. Was macht und beschäftigt die Person?
Man lernt Freunde, vielleicht sogar Verwandte kennen, man bespricht die Themen, die gerade im Zentrum der Gedanken sind. Und nach einigen Tagen, purzelt man wieder heraus.
Ich stehe vor einem großen Hotel an der Metrostation Osmanbey in Istanbul und fühle mich ein bisschen wie bei einem Blinddate. Dieses Gefühl ist mir schon früher aufgefallen, wenn man seinen Couchsurfinghost das erste Mal in „real-life“ trifft. Man kennt wenige Bilder, hat einen leichten Eindruck von vereinzeltem hin und her schreiben, doch wie die Person dann tatsächlich auftritt ist ungewiss.
Er erscheint mit einer Freundin an der Hand. Ihr Name ist Derya und er ist so wie ich ihn mir vorgestellt habe und dann auch wieder gar nicht. Er ist etwas kleiner, hat aber eine sehr sympathische, entschiedene Art an sich. Wir müssen uns jetzt etwas beeilen, denn nachdem ich meine Sachen bei ihm abgelegt habe, muss er zurück zu seinem Mathekurs. Während wir uns über die unebenen Bodenplatten, die steile Straße hochschieben werden erste Pläne geschmiedet und sich etwas kennengelernt. Der Bürgersteig ist schmal und während wir uns an all den wandernden Leuchtreklamen vorbeidrücken, ist es unmöglich mit drei Menschen neben einander her zu laufen.
Derya studiert Chemieingenieurwesen, Basak hat französische Literatur studiert. In seiner kleinen Wohnung werfe ich meinen Rucksack ab und wir machen uns direkt wieder auf in Richtung der Fährstation, wo Basaks Kurs stattfindet. Wir sprechen über den Freiwilligendienst auf Lesvos, er findet das nobel und sagt er wäre dafür zu egoistisch.
Nachdem wir Basak zu seinem Kurs gebracht haben, machen Derya und ich uns alleine auf die Socken in eine Bar. Wir trinken türkisches Bier zusammen und sie erzählt mir von der jungen Geschichte zwischen ihr und Basak, die scheinbar erst seit einer Woche läuft. Sie haben sich halb über Tinder kennengelernt, aber eigentlich über Instagram. Sie wohnt allerdings noch bei ihren Eltern, die sie zwischendurch anrufen und ihr sagen, sie solle bitte nicht so spät nach Hause kommen. Bald bricht sie nach Hause auf und ich beginne durch das umliegende Viertel zu streifen.
Basak und ich haben später einen Treffpunkt ausgemacht, als sein Kurs jedoch früher zu Ende ist und ich es zu spät mitbekomme, hinterlässt er mir detaillierte Anweisungen, wie ich diese Bar finden kann, die sich auf der asiatischen Seite von Istanbul, in Kadikoy, befindet.
Zunächst nehme ich die Fähre. Der Anblick der erleuchteten Stadt ist wirklich umwerfend, die Reise jedoch nur kurz. Leider muss ich nach einer halben Stunde verwirrtem Herumirren feststellen, dass ich im falschen Viertel gelandet bin, dabei hab ich den Typ an der Kasse doch noch gefragt! Der war wohl auch etwas verwirrt.
Ich nehme also einen Bus ins richtige Viertel.
Dort versuche ich erfolglos Geld abzuheben, was meine Frustration dann doch auf ein erhebliches Maß ansteigen lässt. Ich habe Hunger, bin erschöpft von der Reise heute und die Beschreibung zur Bar wo ich Basak treffen will ist doch nicht so detailliert wir ich dachte. Als Anhaltspunkt hatte er mir jedoch einen großen Bullen genannt, den ich schlussendlich dann doch finde. Zwei Jungs im McDonalds errichten einen Hotspot für mich und ich kann Basak über WhatsApp bitten, mich doch bitte bei dem Bullen abzuholen.
Zehn Minuten später haben wir es endlich geschafft, ich umarme ihn erleichtert und gemeinsam laufen wir zur Bar. Er ist enthusiastisch und auch schon etwas angetrunken und schafft es mich mit zu euphorisieren. In der Bar treffen wir Derya und eine ihrer Freundinnen und außerdem viele Leute, die mit Basak zusammen einen Abschluss in französischer Literatur gemacht haben. Es entstehen interessante Gespräche, wir trinken ein paar Bier und die Stimmung ist sehr angenehm und entspannt.
Später machen wir uns mit dem Minitaxi auf den Weg nach Hause. Was ich im Laufe der nächsten Tage an Basak zu schätzen lerne ist einerseits seine Art, mir meinen Freiraum zu lassen und andererseits sich seinen zu nehmen. Das ist gerade in meiner Gastrolle sehr erfrischend, da man den Filter, der durch Gastfreundlichkeit manchmal vor die Bedürfnisse des Gastgebers gestellt wird, einfach wegnimmt. Diese Art ermöglicht es auch, sich auf einer freundschaftlich offenen Ebene kennenzulernen. Die Erwartungen an die Pflichten eines Gastes, oder an einen Gastgeber werden runtergeschraubt und man kann schlussendlich sehr offen und ehrlich mit einander sprechen, sich ehrlich anfreunden. Das kann Couchsurfing sein.