Gestern bin ich in Graz gestrandet. Ich hatte dort am Abend zuvor meine erste Nacht verbracht, was relativ dämlich war, da ich eine Cousine habe, die in Graz studiert! Tja. Hätte ich mal eher drauf kommen können, dann hätte ich mir in meinem kleinen Klapperzelt auch die Füße nicht so abgefroren.
Obwohl ich alles in allem sehr zufrieden mit meinem Zeltplätzchen war: von außen überhaupt nicht zu sehen, in die Bäume geschmiegt und windgeschützt. Außerdem mag ich das Gefühl sich abends in das Zelt zu verkriechen und dort ganz für sich zu sein.
Am nächsten Morgen stand ich leider sehr lange auf der Raststätte herum, quatschte Menschen an. Keiner fuhr in die Richtung Slowenien. Frustrierend.
Doch einer:
„You go to Slowenia??“
„Yes.“
„Great! Could I come with you?“
„No.“
„But why?“
„Because I don’t know you.“
Mist. Da fehlte mir nun wirklich die Energie zu diskutieren. Sehr frustrierend.
Aber dann.
Fand ich einen Mann, einen Trucker, der sogar bis in die Türkei fuhr!
Sein Name war Ali, er trug eine braune Lederjacke mit seidigem Innenfutter, hatte einen Schnauzbart und leicht eingefallene Schultern. Leider sprach er kein einziges Wort English. So wie ich kein einziges Wort Türkisch sprach. Wir konnten uns immerhin darauf verständigen, dass wir beide in die Türkei wollten und dass er mich mitnehmen würde.
Wir fuhren also zusammen los und etablierten unseren ersten, in Zukunft immer wiederkehrenden Dialog:
„Tabia, Nasilsin?“ Tabea, wie geht’s dir?
„Iyim. Ali, Nasilsin?“ Gut. Ali, wie geht’s dir?
„Bende Iyim. Teschekürederim.“ Auch gut. Vielen Dank.
Er brachte mir noch weiter Bröckchen Türkisch bei, die ich alle auf einen Zettel zusammentrug. Zum Glück hatten wir Papier dabei, das heißt, ich konnte die Sachen die er nicht verstand auch fleißig aufmalen.
Wir fuhren also gemeinsam nach Slowenien. Das Land der bunten Häuser. Alle waren entweder orange, rosa oder grün. Und da fiel mir auf, dass ich wirklich rein gar nichts über Slowenien wusste, also lud ich mir direkt mal das APuZ-Heftchen zum Thema EU-Balkan runter (hier der Link). Leider blieben wir gar nicht lange genug dort, um sich ausgiebig über Slowenien wundern zu können. Denn schnell setzten wir nach Kroatien über und nahmen Kurs auf Zagreb. Man muss dazu sagen dass so ein LKW nicht schneller als 80 km/h fahren darf und dazu alle drei Stunden eine Stunde Pause machen muss. Die Reise zog sich somit manchmal ziemlich lang.
Das erste Problem trat auf, als es abends darum ging wo ich schlafen würde. Ali lud mich ein mit in seinem Truck zu übernachten. Man konnte im oberen Bereich ein weiteres Bett ausklappen, die Truckkabine war beheizt, ein gemütlicher Ort zum nächtigen. Ich erklärte ihm, dass ich das nicht wollte und lieber draußen in meinem Zelt schlafen würde. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass ich bestimmt nicht mit ihm in seiner kleinen Truckerkabine übernachten würde. Denn Annelie hatte schon Recht, ohne gemeinsame Sprache ist es sehr schwer Vertrauen zu einander zu fassen.
Nach seiner Einladung musste ich ihm also erklären, dass ich diese nicht annehmen könnte und lieber draußen in meinem Zelt übernachten würde. Ich konnte ihm das Wort Vertrauen leider nicht erklären, versuchte sogar es aufzumalen. Er hat mich glaube ich nicht verstanden und war auch wirklich sehr verwirrt darüber, wie es mich denn so aufwühlen kann, wo doch niemand bei diesem Wetter draußen schlafen wollen würde!
Hatte er ja Recht. Aber ich vertraute ihm einfach noch nicht. Obwohl ich relativ schnell das Gefühl gewann, dass er mich eher als Tochter betrachtete und somit als asexuell. Das beruhigte mich teilweise, aber sicher sein konnte ich mir nicht. Er bot mir sogar an, dass er bei einem seiner türkischen Kollegen übernachten würde um mir die Kabine zur Verfügung zu stellen. Aber das konnte ich nun wirklich nicht annehmen. Ich schwankte also dauerhaft zwischen einerseits Ungläubigkeit seiner Gastfreundschaft und anderseits Misstrauen seiner Freundlichkeit gegenüber. Schwierig, ob er freundlich war, weil er etwas wollte oder ob er einfach nur sehr gastfreundlich war. Er bezahlte mein Essen, er fragte ob ich Eltern hatte. Ich glaube er dachte ich sei ein Runaway. Aber neben seiner Gastfreundschaft gab es keine Anzeichen auf irgendwelche Hintergedanken. Keine komischen Blicke. Keine komischen Berührungen.
Am Ende überzeugte mich sein pragmatisches Unverständnis meines Campingvorhabens gegenüber. Wieso sollte ich denn ernsthaft in Erwägung ziehen draußen zu schlafen, wenn ich einen warmen Platz zum schlafen haben könnte? Ich nahm sein Angebot also an und positionierte mein Pfefferspray genau neben mir.
Lustigerweise hatte ich wirklich eine extrem angenehme Nacht. Ich hatte einen actionreichen, farbenfrohen Traum und es gab wirklich überhaupt keine Probleme.