05.02.16 – Ankunft in Edirne

Als ich in Edirne aus dem kleinen Busschen steige, habe ich das erste Mal richtig das Gefühl unterwegs zu sein. Es ist so interessant, weil gerade die Türkei ein Land ist, das einem vertraut ist. Man kennt einige Deutsche, die aus der Türkei stammen und auch das Essen und die Getränke bin ich durchaus gewohnt. Es hatte also auch viel Vertrautes, in den engen Straßen und in den Gesichtern der Menschen.

Es gibt zwei große Moscheen in Edirne und die spannende Struktur dieser fällt sofort auf: es gibt ein Hauptgebäude, mit den Hauptgebetsräumen darin und viele kleine Minarette, die über die ganze Stadt verteilt sind mit kleinen angrenzenden Nebengebäuden. Es erinnert an eine Pflanze, die sich unterirdisch verbreitet und sich durch neuen Spross ständig vervielfältigt.

Die Stadt packt mich in dem Moment, indem ich aus dem Bus steige. Auf den Straßen ist viel los und der Sog der Menschen zieht mich ins Stadtinnere zu den beiden Moscheen. Direkt neben die alten Bauten, drücken sich kleine Shops und Dönerläden. Leuchtende Reklamen prangen auf alten Steinmauern. Die Imbisse dazu klemmen sich in die Nischen zwischen den wuchtigen Mauern. Kabel und anderes Knotiges zieht sich über die Straßen und Häuserwände. Statt glatten Häuserfassaden strecken, ducken, drücken und schmiegen sich die Häuser an einander vorbei und bilden einen Flickenteppich aus vielfältigen Hausgesichtern. Es gibt hölzerne Fassaden, die an den wilden Westen erinnern, ebenso wie mediterrane Spielereien. Dazwischen neuartigere Bauten und zwischen allem: viele Menschen, die in den umliegenden Gassen verschwinden, um die Brunnen herumstehen oder die Gemüsepreise in die Verschachtelung rufen.

Zuerst tausche ich Euro in Lira um, deren Wechselkurs ich durch die Busfahrt ja nun schon kenne. Außerdem besorge ich mir eine Stadtkarte in einem Touristenbüro, das von einem schwiizerdütsch sprechenden Türken betrieben wird. Ich wandere eine Weile mit meinem Rucksack durch die Stadt, bis ich ein Café finde, um mir eine Schlafgelegenheit zu suchen und mein Handy aufzuladen. Ich stand bereits mit einem Couchsurfinghost in Kontakt, der mir eine kostenlose Unterkunft für Fahrradfahrer etwas weiter außerhalb empfohlen konnte. Da mir eine Couch bei einem richtigen Couchsurfinghost jedoch lieber ist, schreibe ich erst mal zehn Requests an die örtliche Couchsurfingcommunity. Außerdem schlage ich mir den Wanst mit Waffeln und türkischem Tee voll. Ich habe auf meiner Reise Schwarztee richtig zu schätzen gelernt. Obwohl ich früher eigentlich weder Kaffee- noch Teefan war, hat es mir dieser kleine Schwarztee mit einem Zuckerstückchen dann doch angetan.

Es macht Spaß die Menschen um mich herum zu beobachten. Wenn sie sich begrüßen umarmen sich viele zweimal, einmal links, dann rechts. Ähnlich einem Wangenkuss.

Leider sagen mir zwei Couchsurfinghosts ab, ich beschließe also mich langsam auf die Suche nach dem großen Migros-Supermarkt zu machen, bei dem die Fahrradunterkunft zu finden ist. Ich nehme für weitere drei Lira den Bus und lande in einer etwas industrielleren, ungemütlicheren Gegend. Als ich mein Internet wieder anschalte, entdecke ich eine Mail von einem Couchsurfer, der mich spontan aufnehmen kann. Dafür muss ich leider wieder in die Stadt zurück.

Eine kleine Infrastrukturkrise bricht aus, als mein Handy akkumäßig den Geist aufgibt und ich nicht mal in DOMINO PIZZA Wifi finde. Ich begebe mich also in die nächste Mall und darf bei einem kleinen Baklava-Laden mein Handy aufladen. Der Mann der dort arbeitet ist 25 und Physiker. Er hat einige Freunde in Deutschland und fragt mich mit Hilfe von Google Translator, wie viel meine Eltern verdienen. Er ist direkt, was das Gespräch erleichtert und erschwert. Ob es den Türken in Deutschland gutgeht kann man wohl nicht in drei Sätzen beantworten. Er denkt selbst darüber nach nach Deutschland zu gehen und ich bemerke dass viel Hoffnung und Sehnsucht dahinter liegt. Und eine Unterschätzung der Fremde und des Neuanfangs. Oder die Brille der sozialen Ungerechtigkeit drückt mein Nasenbein in diesen Tagen zu sehr zusammen.

Er schenkt mir ein bisschen Baklava und gibt mir einen Tee aus. Auch hier begegnet mir ein weiteres Mal die bedingungslose türkische Gastfreundschaft. Von Gehältern und Lebensqualität bewegt sich das Gespräch zu Religion. Während ich in Deutschland seit langem keine Glaubensdiskussion mehr geführt habe, fragt er mich direkt, ob ich glaube, mit dem christlichen den wahren Glauben zu verfolgen. Puh. Ja. Schwierig.

Leider muss ich dann auch schon los, ich verspreche ihm allerdings auf jeden Fall wiederzukommen, wenn ich das nächste Mal in Edirne weilen werde. Mittlerweile habe ich dem Couchsurfer geantwortet, dass ich mich auf den Weg mache, nehme den nächsten Bus und finde meinen Weg ein weiteres Mal durch die Innenstadt.

Der Couchsurfer ist leicht überrumpelt von meinem Erscheinen, freut sich aber und nachdem ich meine Sachen in seiner etwas kühl-bläulichen Wohnung abgeworfen habe, Er hat zwei Katzen, die gerne ausbüxen und er freut sich über das bulgarische Bier, dass ich immer noch mit mir herumschleppe. Außerdem begrüßt er mich mit einer riesigen Gummispinne im Waschbecken.

2016-02-06 09.05.06

Da er gerade auf dem Weg aus dem Haus zu seinen Freunden ist, klemme ich mich einfach mit dran und wir nehmen den selben Bus wieder raus aus der Stadt (!).

Er hat einen fransigen Bart, einen trocken-humorvollen Blick und kann lustige Geschichten erzählen. Wir laufen eine ganze Weile, reden über Migration und sein Studium in Bosnien. Außerdem geht es um die Kurden in der Türkei und auch das Religionsthema wird wieder angerissen. Er scheint zu dem Thema jedoch ebenfalls nicht so viel Bezug zu haben. Seine Freunde sind auch sehr witzig, ich lerne wie man in Zeichensprache Tee bestellen kann und bei Kicker und Schokomilchshakes haben wir viel Spaß zusammen.

1 Gedanke zu „05.02.16 – Ankunft in Edirne“

  1. Möge Dein Nasenbein nicht zu lange zusammengedrückt bleiben, die Brille kann gern aufbehalten werden (Ich weiss wovon ich rede.).

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