Mit Mahmoud Shisha rauchen

Mahmoud lebt in einem kleinen chaotischen Apartment dem man ansieht, wie viele Couchsurfer es schon beheimatet hat. Mit Edding sind im Bad Anweisungen verfasst, wie man sich respektvoll in dieser WG verhalten soll. Auch die Kacheln in der Küche sind mit einigen humorvollen Tipps versehen.

Es erinnert mich an die Couchsurfingprofile, die statt einer sehr ausführlichen Beschreibung der ausgeprägten Persönlichkeit des Couchsurfinghosts eine Art Wertekatalog des Couchsurfens enthalten. Zu Beginn wird meistens gesagt, schicke mir kein Request, wenn du die folgenden Regeln nicht genau durchgelesen hast. Das mag zu Beginn abschreckend wirken, wenn man aber versteht, wie viele Menschen Couchsurfen im Endeffekt missverstehen kommt man schnell dahinter warum die Hosts gut selektieren wollen. Denn als privates Servicepersonal, das einen kostenfreien Schlafplatz zur Verfügung stellt, will wohl niemand betrachtet werden. Denn trotz der Bedingungen, denen man über die Website zustimmt, dass man kostenfrei nächtigen darf, kann man das konventionelle Verständnis der respektvollen Begegnung natürlich nicht über den Haufen werfen. Grundprämisse der Übereinkunft ist, dass sich beide, Gast und Gastgeber, wohlfühlen.

Auch Mahmouds Mitbewohner Murat ist erfahrener Couchsurfer und –host. Er ist Ende vierzig und arbeitet als Schulpsychologe. Er hat immer ein Grinsen auf den Lippen, lebt vegan und kocht am liebsten Kichererbsen in Tomatensoße mit Kartoffeln. Das ist jedenfalls das Gericht, was ich in den meisten Fällen auf dem Herd stehen sehe. Auch sein Frühstück ist ziemlich praktikabel. Grüne und schwarze Oliven mit Brot und Tomaten. Mahmoud ergänzt das ganze gerne heimlich mit Käse, obwohl ich mich zu erinnern meine dass Murat mir relativ ernst erklärt hat, dass Milchprodukte in diesem Haushalt verboten sind (wäre dann doch eine relativ militante Einstellung für einen derart angenehmen Zeitgenossen). Das kleine Stück Restkäse tarnt Mahmoud dann einfach als Tofu. Das Verbot klappt also scheinbar ganz gut.

Witzig an der Wohnung ist, dass man auf der Vorderseite das Gefühl hat, eine Kellerwohnung zu betreten, die noch unterhalb der Straßenhöhe liegt und man dann vom Wohnzimmer aus an der Rückseite der Wohnung auf einen Balkon steigen kann, der den Blick auf die zwanzig Meter unterhalb verlaufende Straße freigibt. Mein erster Gedanke ist, „Moment, ich kann mich gar nicht erinnern, wie das Treppenhaus aussieht!“.

Richtig, obwohl diese Stadt, nicht wie anderen Städten, ihr Ruf vorauseilt, ist Istanbul unglaublich hügelig. Und wie ihr seht reden wir hier nicht von seichten, sanft gewellten, sondern meist von sehr steilen Hügeln.

Murat und Mahmoud sind es beide gewohnt nicht viel Privatsphäre zu haben. Murats Bett steht im Wohnzimmer und auch Mahmoud hat ein weiteres Bett in seinem Zimmer, für Couchsurfer oder für seine Klamottenberge. An den Wänden von Mahmouds Zimmer hängen T-Shirts aus der ganzen Welt. Außerdem hat er persische Gedichte von seinem Lieblingspoet aufgehängt. Er ist azerischer Iraner und ist vor einigen Jahren nach Istanbul gekommen um dort zu arbeiten. Er ist lang und schmal, jedoch meistens in weite Klamotten gehüllt, die ihm ein bäriges Aussehen verleihen. Er hat sein Haupthaar kurz abrasiert und trägt einen fülligen, schwarzen Bart. Außerdem gerne eine Sonnenbrille. Er macht gerne Witze und ist unfassbar unkompliziert. Es lispelt ein kleines bisschen und mag es sich etwas zu schütteln wenn er lacht.

In dem Apartment gibt es noch einen dritten Raum, wo Gäste schlafen können, der jedoch nur mit einem Bett ausgestattet ist. Dort schlafen manchmal auch die Gäste, die es spät in der Nacht nicht mehr nach Hause schaffen. Ich finde das faszinierend, da man manchmal das Gefühl bekommt, für ihre Bedürfnisse wäre weniger Platz als für die Wünsche der Gäste. Ich frage mich wie man länger als zwei Wochen in diesem Zustand leben kann und es wird das erste Rätsel das Mahmoud mir aufgibt. Und doch ist Mahmoud keiner der Gastgeber, die einen überall hin mitnehmen wollen und einem alles zeigen möchten. Im Gegenteil, ein Lieblingssatz von ihm ist „Feel free“ und er meint es so. Man kann jederzeit seine Zeit wo anders verbringen oder später nach Hause kommen. Der Unterschied zum Hostelbewohner muss natürlich jederzeit erkennbar sein. Mahmoud ist unglaublich flexibel und es gibt nur wenige Situationen in denen ich ihn genervt erlebt habe. Wenn er von etwas genervt ist, dann meistens von Politik oder Dingen, die sich für ihn größer anfühlen als er selbst. Denn sein zweitliebster Satz ist: „It’s so fucked up!“.

Er erzählt mir, dass er eine längere Zeit mit Amerikanern zusammen gelebt hat. Er hat also ein ganz gutes Streetenglisch drauf und außerdem einen einzigartigen Hopperstyle, den ich in der Türkei bis dahin nur selten gesehen habe. Er trägt lässige, weite Klamotten, meistens in schwarz und dunkelgrün, aber er kann sein Auftreten auch komplett ins Gegenteil verkehren. An einem Abend zeigt er mir die Vielfalt seiner Garderobe: ein braunes Hemd mit einem dunkelblauen Baumwollsalko darüber und seiner stärkelosen Brille. Sein Bart erscheint jetzt in einem neuen Kontext. Auf seine beiden Arten fällt er auf.

Den ersten Abend verbringe ich mit ihm in einer Shishabar, in der Nähe seiner Wohnung. Dort läuft ein wichtiges Fußballspiel, Beşiktaş gegen einen portugiesischen Verein. Auf dem Weg dorthin erzählt er mir, dass er seit vier Tagen alle Politik-news-channel gekappt hat. Er hat keine Lust mehr auf Politik, es macht ihn depressiv und er kann es nicht mehr hören. Er möchte positiv sein, nicht negativ. „It’s so fucked up, you know!“. Manchmal, wenn er sich so in Rage redet, läuft er einen Schritt schneller, schaut vor sich auf seine Füße und man hat das Gefühl er würde in seinem Kopf weiter debattieren. Er greift sich an den Kopf und bemerkt nicht, wie ich ihn von schräg hinten beobachte auch auf Fragen reagiert er nicht in diesem Zustand. Nach einigen Sekunden erwacht er und fragt mich eine Frage oder schneidet ein neues Thema an. Es ist das zweite Rätsel Mahmouds, ist er ein bisschen durch den Wind? Oder ist das nur seine Art in Gedanken vertieft zu sein?

Wir betreten also die Shishabar und ich habe das Gefühl, dass wir eine ganz lustige Kombination abgeben, ein kurzhaariges Mädchen mit blauen Augen, offensichtlich eine Touristin in einem abgelegenen Wohnviertel, mit einem bärigen Typ, der mit finsterem Blick und dem Nachgeschmack seines „It’s so fucked up!“ auf den Lippen quer durch den Shishaqualm tigert. Ich hab ihn gern in diesen Situationen. Er raucht gerne Shisha und ich beginne auch langsam es zu mögen.

Die große Menge im Raum und ihre Leidenschaft für das Spiel packen mich bald. Mahmoud erzählt mir nebenbei, dass er auch vor einigen Jahren noch leidenschaftlicher Fußballfan war, aber auch dem vor einiger Zeit abgeschworen hat. Er findet die Fangemeinden einfach zu fanatisch. Zu falsch.

Wenn eine Torchance die Fans aufspringen lässt, betrachtet er sie nur mitleidig, richtet seine große Handfläche auf sie und beginnt halblaut über sie zu lästern. Zwar auf Englisch, trotzdem habe ich manchmal die Befürchtung er könnte die emotionalen Fans leicht gegen uns aufbringen. Und so sehr er doch in seiner eigenen Welt lebt, taucht er immer wieder auf um mich nach etwas zu fragen, er zeigt Interesse an mir und öffnet immer wieder kleine Fensterchen um in die Welt der anderen zu schielen.

Ein weiteres Rätsel an Mahmoud ist seine Vergangenheit im Iran. Er liebt den Iran, seine Lieblingspoeten und seine Heimatstadt: Tabriz. Er vermisst seine Stadt und seine Familie gehörig und schleppt dementsprechend ein latentes Gefühl der Einsamkeit mit sich herum, seit er den Iran verlassen hat. Die Institution der Familie ist im Iran praktisch unerschütterlich. Sie stiftet einen großen Anteil an Stabilität und diese Intensität zu ersetzen stelle ich mir tatsächlich sehr schwierig vor.

Neben seiner Liebe zu seinem Land drehen sich trotzdem viele Gespräche darum, wie er sich von der ideologischen Prägung seines Landes befreien musste, nachdem er in die Türkei kam. Auch dass er durch seine Geburt automatisch Moslem geworden ist bezeichnet er als „completely fucked up!“. Niemand hat mich je danach gefragt, ob ich Moslem sein will! Sie haben mir einfach diese Religion gegeben und ich konnte das nie selbst entscheiden. Er erzählt mir außerdem, wie er sich als Kind immer gefragt hat, warum die Iraner in Arabisch beten. Warum beten wir in einer Sprache, die wir selbst nicht verstehen? Warum basiert die Religion die wir leben auf der Grundlage einer für uns fremden Sprache?

Diese Fragen haben sich ihm schon sehr früh gestellt und die Paradoxien und Themen seines Landes trägt er wohl für immer in sich. Wie einen Stein, den er durch seine Hand gleiten lässt, der bei seiner Form bleibt.

Am letzten Abend mit Mahmoud, lösen sich einige seiner Rätsel und er wird zu einem wirklich guten Freund für mich. Er nimmt mich mit zu einer Bar, von der aus wir über ganz Istanbul blicken können, es ist unfassbar schön und das Sahnehäubchen das auf dem letzten Tag meiner Zeit in Istanbul thront. Mahmoud ist die Cocktailkirsche.